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Ist es nicht eine feine Sache, wenn ab und zu mal einige der eigenen Lieblingsbands Live und in Farbe auftreten und man auch noch Zeit hat, da hinzugehen? Ich habe mich jedenfalls sehr darauf gefreut, Joy/Disaster mal wieder auf der Bühne zu sehen. So geschehen vor ein paar Wochen in Leipzig zusammen mit Twisted Nerve - ihr könnt euch in der Galerie einen Eindruck von diesem wirklich sehr schönen Abend verschaffen. Beide Bands haben auch diesmal ihre Live-Qualitäten bravorös unter Beweis gestellt. Ich war dennoch etwas verwirrt, denn die meisten von Joy/Disaster dargebotenen Songs kannte ich nicht. Kein Wunder, meine letzte Begegnung mit Nico & Co. lag schon über anderthalb Jahre zurück. Beim Apocalyptic Factory Festival 2010 (Review) hatte mir Nico erzählt, dass es einige Änderungen in Band und Musik geben wird und dass man dies auch hören können wird.
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Natürlich hatten Joy/Disaster an diesem Abend ihr neues Album mit dem viel- und nichtssagenden Titel "Sickness" im Gepäck - vorerst allerdings nur in Vinyl. Trotzdem Grund genug, sich die neue Scheibe mal anzuhören, zumal die Live-Darbietung wirklich Lust darauf gemacht hatte.
Also dann, hereinspaziert in die Tiefen einer dunklen Seele. Beim Hören der ersten Takte des Eröffnungssongs "Shining Monday" fühlt man sich als Fan der Band zunächst mal auf dem richtigen Bahnhof abgeholt - der Bass nimmt einen auf den lieb gewonnen Postpunktpfad mit und Nicos Stimme erzeugt die wohlig-dunkle Atmosphäre, die einen großen Teil des Charmes der Band ausmacht. Beim Refrain angekommen, wird allerdings schnell klar, dass die Aussagen von 2010 ernst gemeint waren. Niemand wiederholt sich gerne und auch Joy/Disaster sind alles andere als stehen geblieben. Es mischen sich härtere Gitarren und noch mehr Düsterraum in die eh schon kraftvolle Musik und bereiten den Hörer allmählich auf das vor, was auf dem Album noch kommen wird. Genau genommen könnte man sagen, der Song vereint so ziemlich die musikalische Essenz des Albums im Schnelldurchlauf.
Mit den folgenden Stücken geht es gefühlsmäßig rasant bergab. Es blitzen Passagen mit modernem Indierock bis hin zu druckvollem Doom auf. Das Gemüt schwankt zwischen Hoffnungslosigkeit und innerer Wut. Beim ersten Hören von "Aeroplane" dachte ich zunächst, aus versehen in einem Album vom Hypocrisy gelandet zu sein. Das ist für Kenner der ersten Alben etwas ungewohnt, aber im Grunde deuteten sich mit dem Vorgängeralbum "StäyGätôW" schon solcherlei Veränderungen an. In dem Zusammenhang sei erwähnt, dass auf der zu "Sickness" gehörenden EP "Primary Care" eine Neuaufnahme des Songs "Vision 98" vom Vorgänger enthalten ist. Eine interessante Variation, die einen sehr langsam aber dennoch unwiderstehlich in den Abgrund zieht.
Die Überraschungen sind damit aber noch nicht am Ende. Mit "Miss Trust" ist der Absturz erstmal wieder vorbei, oder zumindest etwas abgemildert. Melodiöser Bass und 80er Gitarrenlinien laden ein wenig zum Tanzen ein. In der Folge geht es durch alle möglichen Höhen und Tiefen. Mit "Kill The Secret" kommt ein sehr schön eingängiges - fast poppiges - Indierocklied daher, nur um gleich im Anschluss wieder in die entgegen gesetzte Richtung gezerrt zu werden. Auf Schwermut folgt ungewohnte Leichtigkeit - oder besser Zweckoptimismus: "It Makes Me Sick" könnte auch von den Ärzten stammen, mit ein wenig Ska und Punk zeigt man dem Leben den Mittelfinger.
Der letzte Teil des Albums präsentiert die bisherigen musikalischen Elemente und Stimmungen in verschiedenen Kombinationen und Songs wie "My Loose" dürften sicher ihren Weg auf die Tanzflächen der Dunkeldiskos finden. Wer ein Happy End mit dem Titelsong "Sickness" ersehnt, wird leider enttäuscht. Die Scheibe klingt langsam und nachdenklich aus und wenn man sich auf die Songs einlässt, wohl auch noch lange im Inneren nach.
Aus etwas Abstand betrachtet, könnte man auf den ersten Blick meinen, die vier Franzosen wären etwas durcheinander geraten und wüssten nicht so genau, wohin sie wollten. Ich persönlich fände das aber zu kurz gedacht. Ich habe nach mehrmaligem Hören der Scheibe den Eindruck, dass sich im Auf- und Ab der Songs die innere Zerrissenheit widerspiegelt, die man selbst spürt, wenn man emotionale Phasen durchlebt. Außerdem gelingt es Joy/Disaster mit unglaublicher Leichtigkeit, solch verschiedene Stile wie modernen Postpunk und Doom zu vereinen, ohne dass es erzwungen wirkt. Die Songs klingen authentisch und sind 100% Joy/Disaster. Das merkt man vor allem auch auf Livekonzerten, die ich jedem nur wärmstens ans Herz legen kann.
Dennoch würde ich sagen, dass Freunde vor allem der ersten beiden Alben der Band möglicherweise etwas enttäuscht sein werden, dass sich die Band immer weiter von den 80er Einflüssen entfernt hat. Es fällt nicht so leicht wie zuvor, sich auf die Songs einzulassen. Aber wie gesagt, wer will sich schon gerne wiederholen? Mein persönliches Fazit fällt daher auch gemischt aus. Einerseits kann ich vom frischen Postpunk der alten Sachen nicht genug bekommen - hiervon hätte ich gerne mehr auf der neuen Scheibe gesehen bzw. gehört. Andererseits ist auch diese neue Richtung weder langweilig noch belanglos, sie funktioniert genauso gut und zieht einen in seinen Bann. Am Ende entscheidet sowieso jeder selbst, ob ihm die Musik gefällt oder nicht. In diesem Sinne, auf zum nächsten Joy/Disaster Konzert in eurer Nähe und selbst anschauen!
Tracklist:
01. Shining Monday
02. Suicide
03. Twins Of Misery
04. Aeroplane
05. Miss Trust
06. Kill The Secret
07. Between Us
08. It Makes Me Sick
09. My Loose
10. When The Others Fade In Silence
11. Absolute
12. Sweetie Monkey
13. The Town
14. Vomit Faces
15. Sickness
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