Es gibt Musik, die kann man einfach nicht beschreiben, sondern muss sie gehört haben. Versuchen muss man es natürlich trotzdem.
Beim neuen Album des brasilianischen Postpunk-Duos Escarlatina Obsessiva geht es zumindest mir so. "Pandemic" heißt das Werk, mit dem sich Karolina und Zaf vor kurzem zurückmeldeten.
Nach einigen Schwierigkeiten ein europäisches Label zu finden, ist man nun bei Zorch Factory in Frankreich untergekommen und dort gibt es mit "Pandemic" den ersten gemeinsamen Output als kostenloses Net-Produkt zum Download.

Mit ihrem neuen Album knüpfen Karole und Zaf an der Stelle an, wo sie mit "Blossomy Parks" aufgehört haben - ihre ganz eigene Spielart des Postpunk umzusetzen.

Auch auf "Pandemic" gibt es wieder vom sperrigen Postpunk-Brett, über tanzbare Stücke, bis hin zu fast verträumten Balladen und Polka- und Jazzsounds alles, was das Herz des geneigten Tradgoth-Fans begehren könnte. Reinhören muss man sich allerdings erst. Die beiden Brasilianer haben ihre ganz eigene Art entwickelt, herkömmliche Songstrukturen zu verwenden, aber auch über den Haufen zu werfen, ohne dass es für den Hörer zu herkömmlich oder zu progressiv im negativen Sinne klingt.

Die Platte beginnt mit schnellen tanzbaren Stücken, die durch die monoton-treibenden Drums zusammengehalten werden, während sich die Gitarre mit den schon von "Blossomy Parks" bekannten, orgelartigen Synthies und dem Bass abwechselnd Duelle zu liefern scheint. Immer wieder kommt es dabei aber auch zum Aufeinandertreffen der Gegner, was durchaus zu unüberwindbaren Klangwänden führt. Wie ein dunkler Albtraum baut sich bei "Buried In Sand" und "Cotard Flees" das musikalische Bild einer harten, zerrütteten Welt auf, bevor mit "Pink Peach Trees" ein völlig neuer Aspekt in Erscheinung tritt. Trotz des immernoch hohen Tempos, entführen einen fast romantische, zumindest aber melancholische Saxophonklänge in eine Art Film noir Landschaft, in der sich die Protagonistin in ihr Schicksal zu fügen scheint und ihr Ende dankbar in Kauf nimmt. Perfekt unterstützt wird diese These durch die leicht rauchigen und verhallten Vocals von Karolina.
Auf diesem Weg geht es musikalisch weiter und das Album wird, mit einigen Unterbechungen und Taktwechseln, zunehmend melodiöser. Aufgewertet durch Einstreuungen von Polkasounds und Trompetenklängen, wird der Hörer von sphärischen Orgelsounds umspült, die auch weiterhin durch die Drums auf Geschwindigkeit gehalten werden. Bei "The Deadmen Waltz" fühlt man sich dann erstmals stärker an The Cure erinnert, was weniger an den Wave-Gitarren, denn an den leicht symphonischen Synthies liegt und spätestens mit "Seven" ist man mit seinem eigenen Rückblick auf die 80er angekommen. Ist "Seven" auch ein sehr schöner Siouxsie-like Titel, der einen einfach für viereinhalb Minuten aus dieser Welt entführt, wird er durch "Eyes Like Stars" doch noch getoppt. Minimalistisches Synthiespiel, schwelgende Streichersounds und die beruhigende Drumarbeit laden zusammen mit Karols Stimme bei diesem Song einfach nur zum träumen ein - ein bisschen in der Art, als ob Siouxsie die "Disintegration" von The Cure eingesungen hätte.
Mit "Strain Under Streets" wird es noch einmal etwas schneller und spannender, wie der Titel schon vermuten lässt, bevor mit "Sham" das Album ausklingt.

Escarlatina Obsessiva haben mit "Pandemic" einen idealen Nachfolger zu "Blossomy Parks" veröffentlicht. Erneut beweisen die Beiden, dass ihre Stärken in der kreativen Neugestaltung und Aufwertung ihrer Wurzeln liegen. Vor allem der zusätzliche, aber gezielt zurückhaltende Einsatz neuer Stilelemente, wie Saxophon, Trompete oder Streichersounds, lässt erahnen, dass sie mit ihren musikalischen Ideen noch lange nicht am Ende sind, und verleihen dieser Produktion einen besonderen "Glanz". Wiedermal ein geniales Album, das meinen Player nicht so schnell verlassen wird.

Hörtipps:
"Cotard Flees", "Pink Peach Trees" & "Eyes Like Stars"

Tracklist:
01. Buried In Sand
02. Cotard Flees
03. Pink Peach Trees
04. You're Invisible
05. Black Hut
06. The Deadmen Waltz
07. Seven
08. Eyes Like Stars
09. Strain Under Streets
10. Sham