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Als Liebhaber von etwas urspünglicheren Gothklängen oder gar allem aus dem Umfeld von Postpunk, war es vor einigen Jahren gar nicht so einfach, passende Konzerte oder einfach nur eine Disko mit entsprechendem Musikangebot zu finden. Durch die auch vom jüngeren Teil des schwarzbunten Publikums getragenen Wiedererweckung von Deathrock und Batcave seit der Jahrtausendwende ist das heutzutage durchaus weniger problematisch. Im Zuge des neu belebten Oldschool-Sounds gibt es nicht nur eine Menge interessanter junger Bands zu bestaunen, auch viele der alten 'Helden' haben sich wiedervereint und können live und in Farbe erlebt werden. Das ist besonders für Leute wie mich sehr schön, war ich doch zu den Ursprungszeiten der schwarzen Musik noch zu jung, um Größen wie Bauhaus, Ausgang oder Thearte of Hate (um nur Einige zu nennen) zu kennen, geschweige denn live zu sehen. Auch der Goth-Sound der 90er ist vieler Orten wieder zu vernehmen und das 2009er WGT hat in dieser Hinsicht Einiges zu bieten.
So war es dann auch eine besondere Freude, dass die 'Queen Of American Gothic' Gitane Demone nach langer Zeit wieder auf Tour durch Europa und Deutschland kam.
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Abgesehen davon, dass es einer der wenigen Wochenendtermine war, gab es noch einen anderen Grund, wieso Tim und ich uns, zusammen mit weiteren Freunden, auf den doch recht langen Weg nach Berlin gemacht haben: als Support waren Madre Del Vizio angekündigt!
Also die sieben Sachen gepackt und auf nach Berlin in den Dot Club. Dieser liegt an einer viel befahrenen Straße in Kreuzberg und man könnte ihn auch leicht von außen übersehen. Vielleicht war es aber einfach zu dunkel. ;-) Wie dem auch sei, innen ist er recht groß, was für Künstler wie Gitane und Madre ja durchaus Sinn macht. So 300-400 Leute bekommt man da schon unter - große Bühne und Publikumsbereich, aber ob das funktioniert? Werden wir noch sehen. Erstmal gab es natürlich einige Freunde zu begrüßen, hätte man sich ja denken können, dass man nicht alleine auf die Idee kommt, da hin zu fahren. Fein, dann fühlt man sich gleich nicht mehr so fremd in der großen Stadt. Ab 22 Uhr war der Club recht gut gefüllt, vielleicht zu 2/3 oder so. Und natürlich waren auch einige andere Musiker/DJs/Label-Vertreter aus dem Goth- und Oldschoolbereich zugegen. Mangelndes Interesse kann man der Berliner Szene also nicht vorwerfen.
Kurz vor 11 Uhr war es dann soweit - Madre Del Vizio betraten die Bühne. Bekannt sind die Gothrocker vor allem für ihren flehenden, bisweilen an Gebete erinnernden italienischen Gesang und die atmosphärische musikalische Untermalung. Schon irgendwie lustig, eigentlich kommen die Jungs aus Kassel. :-) Ich hatte sie im letzten Herbst schon einmal beim Drop Dead Festival gesehen und damals hatte mir der Auftritt auf der kleinen Strandbühne sehr gefallen. Diesmal war es etwas anders. Zum einen war der Sound seitlich neben der Bühne nicht wirklich berauschend (ok, selbst Schuld, wenn man sich da hin stellt...), zum anderen schien das Publikum, abgesehen von einigen wenigen älteren Fans, in den vorderen Reihen an der Bühne nicht allzu sehr mitgerissen zu sein. Applaus gab es genug, aber die Stimmung war aus meiner Sicht weit von der beim Drop Dead entfernt. So hat mir auch das für mich zu Madre gehörende Feeling gefehlt, von der Musik und Atmosphäre eingefangen zu sein. Tim andererseits war im Publikum untergetaucht und hat mir berichtet, dass er richtig Spaß am Auftritt hatte. Dem Gitarristen der Band hat es offenbar auch super gefallen, er hat fast jeden Akkord und jedes Detail seines Parts mit emotionalen Gesten begleitet. Gefallen hat es mir insgesamt auch, aber ich fand ein kleinerer Club mit vor allem kleinerer Bühne wäre hier irgendwie passender gewesen. Nach gut einer Stunde und einem Schnitt durch das Band-Repertoire gingen Madre Del Vizio von der Bühne und wurden mit viel Applaus verabschiedet, für eine Zugabe hat es leider nicht gereicht.
Nach kurzer Umbaupause stand dann Gitane samt vollständiger Band (u.a. mit ihrer Tochter Zara an den Drums und weiteren Mitgliedern ihrer aktuellen Band The Crystelles) vor uns. Wie schon zuvor bei Madre wirkten die Musiker ein klein wenig verloren auf der großen Bühne, aber etwas anderes hat mich zunächst noch mehr erstaunt. Wer Gitane von früher kennt oder auch nur eines ihrer zahlreichen Pressefotos gesehen hat, wird mir sicher zustimmen, wenn ich behaupte, dass Sie immer eine starke und beeindruckende Erscheinung gewesen ist. Von dieser Aura ist bis heute fast nichts verloren gegangen, aber obwohl man natürlich weiß, dass die Zeit nicht spurlos an den Menschen vorbei geht, wirkte diese hagere Person am Mirkofon doch erschreckend zerbrechlich. Um so erstaunlicher ist dann, dass das folgende Konzert - wie übrigens fast jedes auf dieser Tour - über zwei Stunden dauern sollte und man zu keiner Zeit das Gefühl hatte, dass es die Protagonisten übermäßig anstrengen würde. Spätestens nach dem recht rockigen Beginn des Konzerts war klar, dass diese Frau nach wie vor viel Power hat. Wer meint zwei Stunden wären für einen einzelnen Künstler zu lang, der irrt in diesem Fall. Es wurden Songs aus allen Abschnitten ihrer Karriere geboten - ein Blick in die Biographie auf ihrer Homepage macht schnell klar, dass es zu viele sind, um sie hier alle aufzuzählen. Trotz des mäßigen Sounds stand ich zu Beginn wieder seitlich zur Bühne, um ein paar Bilder aufnehmen zu können. Da man ab und zu aus seinen Fehlern lernt, entschied ich mich aber schnell dazu, mich wie Tim unter's Publikum vor der Bühne zu mischen. Das wurde nicht nur mit besserem Klang, sondern auch mit viel dichterer Atmosphäre und ordentlicher Konzertstimmung belohnt. Zugegeben - Gitanes Stimme ist nicht mehr ganz so kraftvoll wie früher und mit Sicherheit ist die Bühnenshow weniger dynamisch als noch vor einigen Jahren. Aber dennoch zauberte Sie mehr als einmal einen wohligen Schauer über das Publikum. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir eine minimalistisch instrumentierte Version des Songs "Manic Depression". Im Hintergrund leise High-Hats - nur gestreichelt - ein stoischer Basslauf, ab und zu ein leises flirren oder streichen von der Gitarre, wie ein eiskalter Windhauch, und dazu diese eindringliche Stimme - Gänsehaut pur!
Nach dem recht rockigen Konzertbeginn folgte dann eine ruhigere Passage mit einigen ihrer eher psychedelisch angehauchten Songs, teils nur begleitet von der Gitarre. So gab es dann auch die Gelegenheit für die Rhythmustruppe, sich gemütlich im hinteren Teil der Bühne hinzusetzen und auszuruhen (keine Angst - dem netten Herrn an den Saiten wurde ebenfalls eine Pinkelpause bei einem der Stücke zugestanden). Nach dem Mittelteil folgten dann wieder schnellere Stücke und Gitane+Band ließen nach einer Zugabe ein sehr zufriedenes Publikum zurück. Das letzte Quäntchen mehr an Enthusiasmus hätte ich mir schon noch von den Berlinern gewünscht. Irgendwie kommt man zu dem Klischee: Hauptstadt eben... Aber sei's drum, ich hatte wirklich ein schönes Konzert und da dürfte mir Tim mit Sicherheit voll zustimmen.
Nach den Live-Darbietungen gab es noch eine ordentliche Aftershow-Party mit den DJs und Veranstaltern des Abends - u.a. Thomas Thyssen (Pagan Love Songs) und Ian P. Christ (Remembrance Daze). Mehr als passend, wenn ihr mich fragt, auch wenn ich nicht allzu viel von der Disko mitbekommen habe - ein wenig Ruhe vor der langen Heimfahrt von Berlin waren nach dem langen Abend einfach nötig. Aber es hat sich gelohnt und war hoffentlich nicht die letzte Gelegenheit, Gitane Demone und Madre Del Vizio auf einer Bühne zu sehen.
Ralf & Tim
aka
seriöse_Strumpfhose & Helga Buttonkrake
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