...tomorrow will never arrive |
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Kalt... und weiß gestaltete sich der erste Dezembertag des Jahres 2012 in Frankfurt am Main, zugegeben: ein bisschen verrückt auch. Aber hoffnungslos? Desolat? Verzweifelt? So kam uns die Gesellschaft im ausverkauften "Das Bett" nun wahrlich nicht vor. Vielleicht mit einer klitzekleinen Ausnahme: Es wurde gefeiert - zwölf Stunden am Stück - von 19 Uhr abends bis 7 Uhr früh - als gäbe es kein morgen mehr.
Die exzellente Verkehrsanbindung Frankfurts und das hochwertige LineUp mit Chameleons VOX, Vendemmian, The Last Cry und Christine Plays Viola machten Frankfurt an diesem Wochenende nicht nur zum Mekka der deutschen, sondern auch der europäischen Gothrockszene. Nicht nur Fans aus Thüringen oder Sachsen, Bayern oder dem Ruhrpott waren hier vertreten, selbst aus Italien und Frankreich bis Großbritannien war man angereist und so gab es, bevor es richtig los ging, natürlich erstmal viel Wiedersehensfreude untereinander.
Bereits beim Opener Christine Plays Viola zeigte sich "Das Bett" ordentlich gefüllt und das Publikum guter Laune. Die Italiener hatten wir, wie die übrigen Bands des Abends auch, nun schon das eine oder andere Mal live erleben dürfen. Mit jedem Gig fällt mehr und mehr auf, dass Danny (Schlagzeug), Desio (Bass) und vor allem Fabrizio (Gitarre) ihre Instrumente nahezu perfekt beherrschen und Sänger Massimos Stimmgewalt und -umfang und der variable Einsatz seines Organs jedem Song einen eigenen Stempel aufdrückt. So ist es schwer CPV irgendwo in eine musikalische Schublade einzuordnen. Zwischen typischem Darkwave, getragen von synthetisch-sphärischen Klängen, gelegentlichem Aufblitzen von Postpunk und experimentell-schrägen, fast schon progressiven Gitarreneinlagen, zwischen tiefen, kraftvollen, mancherorts beinahe geschrieenem Gesang und höheren, melodischen Stimmpassagen, schaffen CPV ein musikalisches Spannungsfeld, welches immer düster, keinesfalls jedoch eintönig ist. Dies ist keine reine Partymusik, eher zum zuhören, hineindenken und dann doch auch wieder zum Rocken. Diese Diversität verlangt dem Publikum Einiges ab, kam aber auch im "Bett" überwiegend sehr positiv an. Wäre Fabrizios Gitarre noch einen Tacken lauter gewesen, hätten die Italiener perfekten Sound und mit etwas mehr Zusammenspiel der Bandmitglieder untereinander, den perfekten Gig gehabt.
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Die daran anschließenden The Last Cry haben sich in den letzten Jahren ja schon den Ruf einer exzellenten Liveband erarbeitet. Auch die Briten durften wir 2012 bereits auf dem Emergency Exit Festival bewundern. Die Emotionalität ihres Debütalbums "Walking To The Edge" und des demnächst erscheinenden Nachfolgers "Living In Grey" wird von Sänger Andrew live derart herzzerreißend umgesetzt, dass ihm der ein oder andere Zuschauer gerne zuviel Pathos unterstellt - allerdings gibt es auch Menschen, die nicht nur derart emotional sind, sondern diese Gefühle genauso extrovertiert auf die Bühne bringen können. Ein Highlight sind Andrew Birch, Tim Green und Chris Carey auf alle Fälle. Die Melodien gehen runter wie Öl und bei Songs wie "Punishment", "Out Of The Sky" oder "No Resistance" können die meisten Fans mittlerweile auch wörtlich mitleiden. Zwischenmenschliche Kommunikation veranlasste uns allerdings, den Auftritt von TLC diesmal nur verkürzt wahrzunehmen. Der Rest feierte!
Die Fun-Goth-Partykracher mit den melancholischen Texten aka Vendemmian hatten diesmal den Part des Co-Headliners inne. Dave und Mark schienen bereits vor der Show extrem gut gelaunt zu sein, war doch eine große Schar der treuen Vendemmian-Gemeinde angereist und der letzte Gig in diesen Gefilden auch schon wieder einige Zeit her. Vom ersten Akkord an ging, im nunmehr ausverkauften "Bett", vor der Bühne die Post ab. Mittlerweile kennt man die Texte zum Großteil auswendig und auch wenn der Sound nicht der beste war (aber auch bei weitem nicht der schlechteste), wurde wieder einmal jedes Lied von "All Is Lost" über "One In A Million" bis zu "Shine On" mitgesungen - getanzt, gefeiert und natürlich getreu dem Motto "Drunk, Stupid And Goth" auch getrunken. Vendemmian ist der beste Beweis, dass man keinen riesigen Aufwand treiben muss und keine überdimensionale Bühnenshow braucht, um einen Konzertabend zum Fest zu machen. Authentizität, Leidenschaft am eigenen Tun und ein Augenzwinkern bei der Selbstbetrachtung reichen dem Publikum durchaus, vor allem, wenn’s um guten UK Goth geht.
Der Headliner des ersten "Cold Insanity meets Desperate Society" Festivals, Chameleons VOX, stand bereits knapp acht Monate vorher, am Ostermontag, schon einmal auf der Bühne im "Bett" und lieferte - wir berichteten - eine Show der Superlative. Kaum zu Toppen konnte man denken.
Die Halle zum Bersten gefüllt, betrat eine gut gelaunte Band um die Chameleons-Gründer Marc Burgess und John Lever die Bühne und vom ersten Moment an schwelgten die Fans in Erinnerungen. Erneut bewiesen die Briten ihr Gespür für gute Setlists, die leicht abgewandelt im Vergleich zum letzten Auftritt, diesmal auch das vermisste "Up The Down Escalator" enthielt - neben üblichen Verdächtigen wie "Monkeyland" oder "Second Skin". Das Publikum von Beginn an richtig aufzuheizen und dann anderthalb Stunden nicht mehr abkühlen zu lassen, schaffen nicht viele Bands, bei den Chameleons scheint es eine Berufung zu sein. Und trotz der doch eher ruhigen und melodischen Töne war vom ersten bis zum letzten Song ständig Bewegung im Publikum, teilweise so ausgelassen, das man besser seine Getränkevorräte in Sicherheit brachte. Dreiviertel der Anwesenden kannten zudem jeden Songtext auswendig so wurde, lediglich unterbrochen von frenetischem Applaus zwischen den Liedern, ausgiebig und lautstark mitgesungen. Die Emotionen schienen bei jedem Wort hoch zu kochen, als hätte das Publikum Marc’s Leben gelebt und die Texte aus ihren eigenen Erinnerungen geschrieben. Eigentlich ist so ein Konzert nicht in Worte zu fassen, ein Bild davon kann man sich allerdings bei einigen Livemitschnitten des Konzertes machen, welche auf Youtube verfügbar sind. Zum zweiten Mal durften wir einem Chameleons VOX Konzert beiwohnen, dass zumindest für mich - wohl aber auch für viele andere - in meine Erinnerungen als eines der besten Konzerte eingehen wird und die Hoffnung, dass die Chameleons mit ihrem Melodienreichtum und intelligenten, stets aktuellen Texten nun die Aufmerksamkeit und Würdigung erfahren, die ihnen in den 80ern, zumindest von der Öffentlichkeit, verwehrt wurde.
Das wirklich schöne an Events wie dem "Cold Insanity meets Desperate Society" Festival ist immer wieder, dass die Bands meist geschlossen auch zur Aftershow anwesend sind und gemeinsam mit ihren Fans feiern. Die hiesige Aftershow im "Bett" bestritten die DJs Cyberpagan und Evangel im Banne der Musik des Abends und was soll man sagen: Wenn die Musik bis um 7 Uhr in der früh läuft und die Tanzfläche voll ist, haben sie wohl was richtig gemacht. Wir danken! ;) ... und sehen uns nächstes Jahr hoffentlich zum "Cold Insanity meets Desperate Society, Part II" wieder!
Zu den Festivalfotos...
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